Die extreme Bedrohung
Lesedauer: 20 Minuten
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xel Bronstert ist Katastrophen gewöhnt. Nachdem eine Sturzflut am 29. Mai 2016 durch den kleinen Ort Braunsbach im Landkreis Schwäbisch-Hall in Baden-Württemberg rauschte, reiste er an, um die Ursachen zu erforschen. Bronstert ist Hydrologe und Klimatologe an der Universität in Potsdam. Mit Wetterextremen, allen voran mit Starkregen und Dürren, kennt er sich aus. Aber als ihn im Sommer 2021 die Bilder aus dem Ahrtal erreichten, aus Erftstadt und der Eifel, war auch er sprachlos. „Dass so etwas in Deutschland passieren könnte, dafür fehlte mir die Vorstellungskraft“, sagt er mit etwas Abstand.
Überschwemmte Straßen, zerstörte Häuser und überall Unrat: Die Bilder aus Braunsbach und dem Ahrtal gleichen sich. Aber nur auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen wird klar: So ein Unglück hat es hierzulande noch nicht gegeben. Der Niederschlag war heftiger und hielt länger an, das Gebiet war viel größer. Und während sich der Schaden 2016 auf etwa 100 Millionen Euro summierte, rechnet der Bund bei der diesjährigen Katastrophe mit Schäden in Höhe von zwei Milliarden Euro. Hinzu kommen dieses Mal 180 Tote, während in Braunsbach glücklicherweise alle Menschen überlebten.
Zwei Grad mehr und wir erleben Hitzegewitter wie in Spanien
Dieses Mal, letztes Mal. Fakt ist: Starkregen-Ereignisse wie 2016 in Braunsbach oder diesen Sommer im Westen Deutschlands nehmen weiter zu. „Das geht ganz eindeutig aus unseren Daten hervor und liegt an der Erwärmung der Atmosphäre“, erklärt Bronstert. Durch jedes Grad Celsius wärmere Luft könne diese bis zu sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. „Wenn sich daraus Regenwolken bilden, gibt es auch mehr Wasser“, sagt der Hydrologe. Im Vergleich zur vorindustriellen Zeit hat sich Deutschland bereits um 1,6 Grad Celsius erwärmt. „Noch rund zwei Grad mehr und wir erleben hier Hitzegewitter wie in Spanien“, sagt Bronstert. „Und die fallen in der Regel noch viel heftiger aus.“
Heftiger Regen, Unwetter, aber auch Hitzewellen, Dürren oder Waldbrände, wie sie gerade der Süden Europas diesen Sommer erlebt hat, sind Folgen der Klimakrise. Damit waren sich Klimaforscher noch nie so sicher wie heute. Und die Bedrohung wird größer. Erst Anfang August hat der Weltklimarat in seinem besorgniserregenden Bericht beschrieben, dass die Schwelle von 1,5 Grad Erderwärmung im Vergleich zu 1850 bereits 2030 erreicht sein wird. Dann wäre auch das Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen früher verfehlt als gedacht. Die Prozesse, die das bewirken, sind bereit im Gang, weiß Anders Levermann, Bronsterts Kollege vom Potsdamer Institut für Klimaforschung. „Das Klima“, sagt er, „reagiert mit großer Verzögerung auf unser Handeln. Was wir heute erleben, wurde vor 20 bis 25 Jahren verursacht.“ So bleibt klimaschädliches Kohlendioxid beispielsweise etwa 100 Jahre lang in der Atmosphäre. Einmal ausgestoßen, haben selbst unsere Urenkel noch etwas davon.
Das Klima wandelt sich also, auch in Deutschland. Was kommt da jetzt auf uns zu?
Es wird heißer. Während es Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland im Schnitt etwa drei Hitzetage im Jahr gab, sollen es Mitte des 21. Jahrhunderts bereits 15 sein. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) ist ein Tag dann ein Hitzetag, wenn die Höchsttemperatur 30 Grad Celsius übersteigt. Das klingt noch mild, wenn der DWD für denselben Zeitpunkt mit Höchsttemperaturen von bis zu 45 Grad Celsius rechnet. Das sind die Tage. Und die Nächte? Auch die werden wärmer. In einer sogenannten Tropennacht fallen die Temperaturen nicht unter 20 Grad Celsius. Aktuell gibt es davon im Schnitt etwas mehr als fünf pro Jahr, Ende des Jahrhunderts könnten es bis zu 40 sein.
Mitte des Jahrhunderts in vielen Regionen dreimal so viele Starkregentage wie heute
Auch der Regen wird stärker. Das Climate Service Center in Hamburg prognostiziert, dass es Mitte des Jahrhunderts in vielen Regionen fast dreimal so viele Starkregentage geben könnte wie heute. An diesen Tagen fällt innerhalb kurzer Zeit mindestens 15 Liter Niederschlag auf den Quadratmeter. Das ist allen voran in den Alpen und in den Mittelgebirgen gefährlich, wo Wassermassen in die Täler stürzen. Im Ahrtal fielen übrigens bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Der höchste Wert wurde 2014 in Münster sogar mit 292 Litern Niederschlag pro Quadratmeter gemessen. Aber auch das Meer kämpft sich immer weiter voran. Während der vielzitierte Anstieg des Meeresspiegels die Küsten zwar erst gegen Ende dieses Jahrhunderts bedroht, könnten Sturmfluten, die aktuell etwa alle 50 Jahre vorkommen, bereits ab 2050 alle zehn Jahre auftreten. Wasser wird also eine immer größere Bedrohung.
Dazu wird das Wetter insgesamt extremer. Eine Ursache ist das Abflauen des Jetstreams. „Das ist eine Höhenströmung, die sich wellenartig um die Erde windet“, erklärt Meteorologe Frank Böttcher: „Weil sich aber die Pole durch den Klimawandel schneller erwärmen als die Gebiete rund um den Äquator, wird diese Strömung schwächer.“ Das Problem: Diese Strömung sorgt für den Ausgleich warmer und kalter Luftmassen, indem es Hoch- und Tiefdruckgebiete von Ost nach West schiebt. „Wird der Strom schwächer, bleiben Wetterlagen länger“, erklärt Böttcher – das gelte sowohl für Phasen mit viel Regen als auch für Phasen mit trockener Witterung. Wetterextreme – Regen, Stürme, Dürren, Hitzewellen – die heute als Jahrhundertereignisse gelten, könnten dann in Deutschland bald alle zehn Jahre auftreten.
Darauf gilt es, sich vorzubereiten. Aber wie?
Mit jedem investierten Euro werden Schäden in Höhe von fünf Euro vermieden
Eine Möglichkeit ist Vorsorge. Womöglich ist es sogar die lohnenswerteste. So geht etwa aus einer Studie der EU-Kommission hervor, dass mit jedem für Hochwasserschutz an Gebäuden investierten Euro Schäden in Höhe von fünf Euro vermieden werden können. Es lohnt sich also, zu handeln.
Und hier und da wird auch schon gehandelt. Zum Beispiel in Leipzig, genauer gesagt in Eutritzsch. Im Norden der sächsischen Metropole entsteht gerade ein Quartier mit 2.000 Wohnungen, zwei Schulen, zwei Kitas, Läden, Büroflächen und einer Grünanlage. Gebaut wird nicht nur größtenteils aus Holz und damit nachhaltig, sondern auch mit wissenschaftlicher Expertise vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Ziel ist es, das Quartier so zu planen, dass es mit zwei Wetterextremen klarkommen kann: Starkregen und Hitze. Dazu muss man wissen: Leipzig ist eine der wasserärmsten und heißesten Regionen Deutschlands, gleichzeitig aber besonders gefährdet für Starkregenereignisse. Deshalb lautet die Idee: Den Regen auffangen, um mit der Dürre besser leben zu können.
Und die Lösung? Begrünte Dachflächen. Die bringen gleich mehrere Vorteile mit sich. Bei Starkregen saugen die Pflanzen einiges an Wasser auf. Gleichzeitig sind sie Rückzugsort und Nahrungsquell für Insekten. Außerdem binden die Dächer Straßenlärm und sorgen für eine gute Dämmung. Und während sich Kiesdächer auf 40 Grad und Teer- oder Metalldächer sogar auf bis zu 70 Grad erhitzen, bleibt das Gründach mit seinen knapp 30 Grad verhältnismäßig kühl. Aber nicht nur auf dem Dach, auch unter der Erde können Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. So soll in Eutritzsch Regen in unterirdischen Speicherbecken aufgefangen werden, um bei Dürre damit die Pflanzen zu bewässern.
Auch Hamburg bekämpft Wetterextreme mit Rückhaltebecken und Gründächern. Schon vor mehr als 30 Jahren hat die Hansestadt damit begonnen, unterirdische Gräben zu ziehen. Der größte mitten in der Innenstadt fasst 22.000 Kubikmeter. Trotz allem bleibt Starkregen eine Bedrohung. Mehr als 180 Ereignisse hat es in den vergangenen zehn Jahren in Hamburg gegeben. Umweltsenator Jens Kerstan präsentierte deshalb Anfang Juni, einen Monat vor der verheerenden Katastrophe in Westdeutschland, eine Starkregenkarte. Darauf sind die Gebiete der Stadt zu sehen, die besonders gefährdet sind. Ein wichtiges Hilfsmittel für die Vorsorge, etwa bei der Planung von Baumaßnahmen. „Wenn wir uns nicht vorbereiten, treffen heftige Regenfälle auf immer stärker versiegelte Flächen mit abnehmender Möglichkeit für Versickerung, Rückhalt und Verdunstung von Regenwasser“, sagt er.
Die Fassade eines begrünten Hauses ist um 16 Grad kühler als die eines Ziegelhauses
Über der Erde verfolgt Hamburg ebenfalls einen innovativen Weg. Als erste deutsche Großstadt hat sie eine Gründachstrategie ins Leben gerufen. Ziel ist es, 70 Prozent der Dachflächen zu begrünen – sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen. Drei Millionen Euro stellt Kerstans Behörde dafür zur Verfügung. Diese Gründächer können im Schnitt 60 Prozent des Regenwassers zurückhalten. Das gelangt dadurch zum einen verzögert und zum anderen langsamer in die Entwässerungssysteme. Aber nicht nur auf dem Dach, auch an den Wänden kann Grün dabei helfen, die Folgen des Klimawandels abzumildern. Zum Beispiel die Erwärmung. Eine der größten Gefahren, aber auch am einfachsten zu bekämpfen. Zum Beispiel durch Kletterpflanzen an den Häuserfassaden. Ein Vergleich in Hamburg hat gezeigt: die Fassade eines begrünten Hauses ist um 16 Grad kühler als die eines Ziegelhauses.
Aber nicht nur die Städte, in denen immerhin drei Viertel der Deutschen leben, gilt es, auf die extreme Bedrohung vorzubereiten. Auch die ländlichen Regionen stehen im Fokus, insbesondere beim Schutz vor Hochwasser. Eine Möglichkeit sind Deiche. Die halten das Wasser gerade dann wirksam zurück, wenn es langsam ansteigt, etwa in Folge von Schneeschmelze oder langanhaltendem Nieselregen. Beides war zum Beispiel Ursache des Elbe-Hochwassers 2002. Darüber hinaus helfen, wie in der Stadt, auch auf dem Land Rückhaltebecken. Oder natürliche Rückhalteräume wie Wälder und Wiesen.
Nicht alle Schäden durch extreme Klimaereignisse kann der Mensch verhindern
„Wenn die Wassermassen jedoch so ins Tal schießen, wie bei der Flutkatastrophe im Sommer, nützen auch Dämme oder Rückhaltebecken nichts“, sagt Hydrologe Bronstert. Das zeigt: Nicht alle Schäden durch extreme Klimaereignisse kann der Mensch verhindern; zumindest nicht die materiellen. „Aber Menschenleben, die hätten durch eine besser funktionierende Frühwarnung gerettet werden können“, sagt Bronstert.
Hier hat sich Deutschland seit der Wiedervereinigung jedoch ausgeruht. Beispiel Sirenen. Bis in die frühen Neunziger hinein hatte Deutschland ein flächendeckendes Sirenennetz, als Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges. Seitdem wurden jedoch zehntausende dieser Sirenen abgebaut, weil sie zum einen durch Städte und Gemeinden finanziert werden müssen und, zum anderen, die Digitalisierung smarte Alternativen bietet. Das sind nicht nur die sogenannten Pieper für Feuerwehrleute und Rettungskräfte, sondern Anwendungen wie zum Beispiel die Warn-App NINA, über die Warnungen etwa vor Fluten oder Stürmen direkt auf das Smartphone geschickt werden. Das Problem ist jedoch: Nur eine kleine Minderheit der Menschen in Deutschland hat diese Apps installiert, Mitte Juli waren es 8,8 Millionen.
Auf Länderebene gibt es Hochwasserzentralen, die konkret vor den Gefahren warnen
Und dann ist da noch der weite Weg, wie eine Warnung überhaupt an ihr Ziel gelangt. Zunächst warnt der Deutsche Wetterdienst vor Niederschlag. Auf Länderebene gibt es zudem Hochwasserzentralen, die konkret vor den Gefahren durch Hochwasser warnen. Diese Warnung geht an die Kreisbehörden – und die geben sie schließlich an die Bevölkerung weiter und versetzen auch die Rettungskräfte in Alarmbereitschaft. „Abgesehen vom letzten Teil der Warnungskette hat das bei der Sturzflut im Ahrtal auch wirklich gut funktioniert“, sagt Bronstert. Der DWD habe ungewohnt präzise Niederschlagsvorhersagen geliefert, schon Tage vorher. Auch die Hochwasservorhersagezentrale in Mainz habe die Pegelstände sehr genau vorhergesagt – ihre Prognose sogar Stunden vorher noch nach oben korrigiert. „Aber danach hat es dann geklemmt“, sagt Bronstert.
Das Unglück zu einer Katastrophe gemacht, haben dann mehrere Faktoren. Die Beschaffenheit der Landschaft: steile Hänge, an denen das Regenwasser hinabstürzt. Dazu die vom Borkenkäfer zerfressenen Wälder, die kaum als Rückhalt dienten. Dann das Wetter: Das Regengebiet war mehrere tausend Quadratkilometer groß. Zum Vergleich: das Tief über Braunsbach 2016 maß sechs Quadratkilometer. Dann regnete es sehr lange. In Braunsbach knapp 70 Minuten, über dem Ahrtal anderthalb Tage. Außerdem zog das Regenband von West nach Ost, talabwärts. Es hat also permanent auf die Flut draufgeregnet. „Insgesamt gesehen sind das alles Ereignisse mit sehr geringen Wahrscheinlichkeiten“, erklärt Hydrologe Bronstert: „Aber, wenn sie dann doch eintreten, dann ist die Katastrophe da.“
Im Mittel etwa alle 200 Jahre droht diese Gefahr, statistisch. „Die Wahrscheinlichkeit für jedes Jahr liegt also bei 0,5 Prozent“, sagt Bronstert. Und tatsächlich: Eine Kollegin habe in den Unterlagen ein Ereignis aus dem Jahr 1804 entdeckt, dokumentiert von der damals regionalen französischen Regierung, was auf ein ähnliches Extremwetter im Ahrtal hindeutet. Auf die nächste Sturzflut werden die Menschen dort wohl nicht so lange warten.
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