Bitte weiterfahren! Ampelkoalition schaltet auf grün
Lesedauer: 11 Minuten
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ielleicht ist es ja kein Zufall, dass das hundertjährige Jubiläum der Ampel in Deutschland in die kommende Legislaturperiode fällt. Als 1924 die erste Lichtsignalanlage am Potsdamer Platz in Berlin in Betrieb genommen wurde, waren die Reaktionen zunächst – nun ja: zurückhaltend. Die Verkehrsbeteiligten mussten sich erst einmal an die Neuerung gewöhnen, die ihnen zeigte, was sie zu tun hatten. Auch die neue Regierung hat scheinbar vor, das Land künftig in eine neue Richtung zu lenken. Und mit ihr die Versicherungswirtschaft. Was bedeuten die Ampel-Pläne für die Assekuranz? Vollbremsung oder Durchstarten?
Kein Provisionsverbot in Sicht?
Die wichtigste Botschaft für den Versicherungsvertrieb dürfte das Fehlen des Wortes Provision im Koalitionsvertrag sein. Ein Provisionsverbot, wie es im Wahlkampf wieder einmal wie ein Damoklesschwert über den Köpfen im Versicherungsvertrieb hing, ist nicht Teil der Abmachungen, die die Koalitionäre getroffen haben. Im knappen Vermerk zu den Versicherungen ist auch von einem möglichen Deckel der Provisionen beim Vertrieb von Lebensversicherungen keine Rede.
Alles gut also? Brancheninsider wie Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), weisen darauf hin, dass die BaFin das Thema durchaus weiter auf dem Zettel habe. Und letztlich könnten die Koalitionsparteien das Thema auch bewusst ausgeklammert haben – weil stattdessen Brüssel in Sachen Provisionen aktiv werde. So denke die Europäische Kommission über eine Angleichung der Anlegerschutzvorschriften bei der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD an die Finanzmarktrichtlinie MiFID II nach – in der Provisionen bei unabhängiger Beratung verboten sind. Konkret verlangt die Kommission von der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA Vorschläge für einen besseren Schutz von Verbrauchern und Investoren, wobei das Provisionsthema ausdrücklich adressiert ist.
Das schwelende Aufsichtsthema scheint hingegen vom Tisch. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht soll dem Koalitionsvertrag zufolge zwar weiter reformiert werden. Von einer Verlagerung der Aufsicht über etwa Finanzvermittelnde von den Industrie- und Handelskammern sowie den Gewerbeämtern auf die BaFin ist aber keine Rede mehr.
Große Pläne für Rentensystem und Altersvorsorge
Hier hat sich die Koalition einiges vorgenommen. In der Rentenpolitik liegt der Fokus auf der Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung auf einem Rentenniveau von 48 Prozent, das „dauerhaft“ gesichert werden soll. Die Ampelkoalition versichert zugleich, dass es weder Rentenkürzungen noch eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben wird. Allerdings soll der sogenannte Nachholfaktor im kommenden Jahr nach der Rentenerhöhung wieder in Kraft gesetzt werden. Die umlagefinanzierte Rente soll durch die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Angestellten sowie die erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung gestärkt werden.
Die FDP-Forderung nach einer teilweisen Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung wird umgesetzt. Im kommenden Jahr sollen aus Haushaltsmitteln zehn Milliarden Euro hierfür bereitgestellt werden. Auch die Deutsche Rentenversicherung soll ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anlegen können. Damit könnte sie verhindern, Negativzinsen bezahlen zu müssen. Der geplante Kapitaldeckungsstock soll dauerhaft eigentumsgeschützt sein, damit der Staat im Fall finanzieller Nöte nicht darauf zugreifen kann.
Die Ampel bekennt sich klar zum Drei-Säulenmodell: „Neben der gesetzlichen Rente bleiben die betriebliche wie private Altersvorsorge wichtig für ein gutes Leben im Alter“, heißt es. In der betrieblichen Altersversorgung (bAV) will die künftige Regierung eine Anlage mit höheren Renditechancen ermöglichen. Außerdem gibt es ein Bekenntnis zum neuen Sozialpartnermodell, das ohne Arbeitgeberhaftung und Garantien auskommt: „Zusätzlich muss das mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell nun umgesetzt werden.“ Wie das gelingen soll, lässt das Papier allerdings offen. Bislang bleibt das neue bAV-Modell hinter den Erwartungen zurück. Der bisher bundesweit einzige Abschluss liegt weiter zur Prüfung bei der BaFin.
„Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen“, schreiben die Ampelparteien. Auf den Prüfstand kommt auch die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als die Riester-Rente. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen. Für Riester wird Bestandschutz versprochen. Der GDV hatte bis zuletzt dringend eine Absenkung der Beitragsgarantie bei Riester-Verträgen gefordert.
Für Selbstständige planen die Ampelparteien einige wesentliche Neuerungen in der Absicherung. Die Altersvorsorgepflicht für frischgebackene Unternehmerinnen und Unternehmer hatte sich bereits die alte Regierung vorgenommen, aber nicht umgesetzt. „Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen“, legen die Ampelparteien fest.
Dieses müsse insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Bei jeder Gründung gelte jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren. Die geförderte zusätzliche private Altersvorsorge stehe allen Erwerbstätigen offen, wird knapp hinzugefügt. Gut aus Vertriebssicht: Da die Selbstständigen der Vorsorgepflicht auch mit einem „privaten Vorsorgeprodukt“ nachkommen können, werden sich hieraus wertvolle Vertriebsimpulse für Vermittlerinnen und Vermittler ergeben – wenn die Branche mit attraktiven Lösungen überzeugt.
Gesundheit: Das duale System bleibt
Am dualen Gesundheitssystem von gesetzlicher Krankenversicherung und PKV wird festgehalten. Die Ampel wird im Bereich der Pflegeversicherungen prüfen, wie eine „freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung“ in der Pflege geschaffen werden kann. Eine Expertenkommission soll bis 2023 konkrete Vorschläge erarbeiten.
Die künftige Bundesregierung wird das Thema Pflege verstärkt in den Blick nehmen und will unter anderem in der stationären Pflege die Eigenanteile „begrenzen und planbar machen“. Die zum 1. Januar 2022 in Kraft tretende Regelung zu prozentualen Zuschüssen zu den Eigenanteilen soll beobachtet werden. Diese war noch unter dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angestoßen worden. Die Behandlungspflege in der stationären Versorgung soll der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen werden.
Der Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung wird nach den Plänen „moderat“ angehoben. Das Pflegegeld soll ab 2022 regelhaft dynamisiert und die Pflegezeit- und Familienpflegezeit-Gesetze weiterentwickelt werden. Besonders wichtig für unabhängige Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartner: „Wir prüfen, die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen, die die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend absichert. Eine Expertenkommission soll bis 2023 konkrete Vorschläge vorlegen, die generationengerecht sind. Der privaten Pflegeversicherung würden wir vergleichbare Möglichkeiten geben“, schreiben die Parteien. Man darf gespannt sein, wie die Produktgeberinnen und Produktgeber darauf reagieren werden.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll vorangetrieben werden, zum Beispiel durch telemedizinische Leistungen sowie Videosprechstunden. Auch die Einführung der elektronischen Patientenakte und des E-Rezeptes soll beschleunigt werden.
In der GKV planen SPD, Grünen und FDP eine Entlastung der Selbstständigen. Der Mindestbeitrag sinkt. Er richtet sich künftig an der Minijob-Grenze von 520 Euro, nicht mehr an einem fiktiven Einkommen von 1.096 Euro. Oberhalb der Minijob-Grenze soll der Beitrag strikt vom tatsächlichen Einkommen abhängen. Das erhöht die Attraktivität der GKV gegenüber dem privaten System. Aber: Die Krankenkassen sollen nach den Plänen der Parteien künftig ihre Service- und Versorgungsqualität anhand von einheitlichen Mindestkriterien offenlegen.
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