Homeoffice im Grünen: Den Speckgürtel enger schnallen
Lesedauer: 8 Minuten
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ie Idee klingt verlockend. Arbeiten auf der Terrasse mit Blick in den Garten. Kein Büro, kein Lärm. Kein Stau auf dem Weg in die Stadt, kein Pendeln in überfüllten U-Bahnen. Der Umzug ins Homeoffice war für viele auch eine Verheißung. So attraktiv, dass ein großer Teil der Angestellten nach der Pandemie daran festhalten will. Zum Beispiel bei Google. Allein bis Mitte 2021 gingen mehr als 4.500 Anträge ein, 85 Prozent wurden bereits genehmigt.
Raus aus der Stadt, bis zu 25 Prozent weniger Gehalt
Statt großer Euphorie herrscht in der Google-Belegschaft aber Sorge. Denn ihr Arbeitgeber hat sich etwas einfallen lassen: Wer die teuren Städte verlässt, weil es sich im Umland günstiger leben, aber aus dem Homeoffice heraus ebenso gut arbeiten lässt, soll künftig auch weniger verdienen. Ein Gehaltsrechner rechnet aus, was das für die Angestellten bedeutet. Stamford, eine Stunde nördlich von New York: minus 15 Prozent. Ein Haus am Lake Tahoe statt in San Franciscos: minus 25 Prozent. Mit anderen Worten: Wer in Zukunft vom Speckgürtel aus arbeitet, muss eben diesen womöglich ein Stückchen enger schnallen.
Weil Google mit dieser Idee nicht allein dasteht, sondern Tech-Firmen wie Facebook, Twitter oder Slack über ähnliche Planspiele nachdenken, hat sich in den USA eine Debatte entzündet. Es geht jedoch weniger um Prozente, sondern ums Grundsätzliche: Darf eine Firma überhaupt so weit in das Leben ihrer Angestellten eindringen? Was wollen die Unternehmen eigentlich erreichen? Und ist der Pandemie-Traum vom Homeoffice im Grünen schon wieder vorbei?
Ein Modell auch für Deutschland?
Das fragen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Deutschland. Es dauert schließlich oft nicht lang, bis ein Trend aus Übersee über den großen Teich schwappt. Marcus Kamp, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei Fieldfisher, kann hier aber Entwarnung geben: „In Deutschland darf der Arbeitgeber das Gehalt nicht einseitig kürzen“, sagt er. „Es sei denn, es gibt eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags oder eine Änderungskündigung.“ Darüber hinaus gehe es das Unternehmen schlichtweg nichts an, wie viel Geld die Angestellten etwa für die Miete oder für Kreditkosten bezahlen. In Folge dessen sei es schlicht nicht möglich, das Gehalt an die Wohnsituation der Beschäftigten anzupassen. Wie so oft im Recht gibt es aber auch hier keine Regel ohne Ausnahme. „Der Arbeitgeber könnte zum Beispiel vorab im Arbeitsvertrag Gehälter für verschiedene Wohnorte beziffern“, erklärt Kamp. „Dann wäre für den Arbeitnehmer nämlich auch klar, was gehaltlich auf ihn zukommt, wenn er seinen Wohnort verlegt.“
In den USA ist es dagegen gar nicht mal so ungewöhnlich, dass sich das Salär nach den Lebensverhältnissen der Belegschaft bemisst. Auch nicht bei Google. „Unsere Gehaltsstruktur hat sich stets am Standort orientiert“, sagt ein Unternehmenssprecher dazu. Allerdings kam dieses Konzept bisher nur bei Umzügen zum Tragen. Künftig sollen jedoch auch Beschäftigte, die längst schon im Umland wohnen, weniger Gehalt bekommen, wenn sie dauerhaft von zu Hause arbeiten wollen.
Das wird sich auf die Motivation der Mitarbeitenden auswirken, glaubt Jake Rosenfeld, Soziologe an der Washington-Universität in St. Louis. Sein Vorschlag ist daher, die Anpassungen auf Neueinstellungen zu beschränken. Einen Image-Schaden erwartet er nicht: „Google ist und bleibt für viele ein sehr attraktiver Arbeitgeber.“ Dazu gehört auch, dass Google, selbst wenn den Angestellten aufgrund des Wohnortes ein paar Prozent abgezogen werden, immer noch überdurchschnittlich hohe Gehälter bezahlt.
Wozu also der ganze Ärger? Am Geld kann es kaum liegen, bei 18,5 Milliarden Dollar Gewinn – im Quartal. Liegt es auch nicht, zumindest nicht direkt. Es geht ums Recruiting. Google verärgert mit seinem Plan zwar einige Angestellte, erschließt zugleich aber einen riesigen Bewerberpool. Wer nicht nach Kalifornien ziehen, wohl aber für Google arbeiten will, der verzichtet freiwillig auf ein paar Prozente, wenn er dafür daheimbleiben kann. „Ein Google-Gehalt ist, sagen wir, im ländlichen Missouri ein Mordssalär, selbst wenn es um 25 Prozent unter dem liegt, was ein Kollege in San Francisco bekommt", sagt Rosenfeld.
Das Google-Imperium wächst weiter
Eine weitere Erklärung hat Google-Chef Sundar Pichai bereits im Frühjahr 2021 geliefert: „Seit mehr als 20 Jahren kommen Mitarbeitende in die Büros und lösen interessante Probleme – im Café, bei einer Besprechung oder während eines Beachvolleyball- oder Cricket-Spiels. Unsere Campusse sind das Herz der Google-Gemeinde, und die Mehrheit der Angestellten will zumindest einen Teil ihrer Zeit dort verbringen.“
Deshalb baut Google sein Imperium an der Westküste auch immer weiter aus, zwischen Campus und der San Francisco-Bucht. Dort entsteht ein acht Fußballfelder großes Gebilde, das den Begriff Zukunft nur so herausschreit: Charleston East. Ein Ort, an dem es nicht nur Büros, sondern auch Unterkünfte geben soll. Allein im Silicon Valley plant Google 40.000 neue Wohneinheiten. Dann arbeiten die Angestellten nicht nur auf dem Campus, sie leben auch noch dort – und der Begriff Homeoffice bekommt gleich eine ganz neue Bedeutung.
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