„Ein Algorithmus erkennt den Krebs schneller und besser als ein Onkologe“
Lesedauer: 12 Minuten
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e-GoNews: Herr Zimmermann, sind Sie schon mal in einem selbstfahrenden Auto gefahren?
Camille Zimmermann: Ja. Vor zwei oder drei Jahren in Masdar City; das ist eine Modellstadt der Zukunft in Abu Dhabi. Zu Beginn war es noch etwas komisch. Aber man gewöhnt sich sehr schnell daran und fängt an, dem Computer zu vertrauen.
Autonomes Fahren: Wie Kutschen und Autos vor 100 Jahren
e-GoNews: Finden Sie es nicht riskant, Ihr Leben in die Hände einer Maschine zu legen?
Zimmermann: Im Gegenteil. Ich würde mich sogar sicherer fühlen, wenn alle Autos von Maschinen gesteuert würden und nicht mehr von Menschen. Es ist unbestritten, dass autonomes Fahren effizienter, besser und sicherer ist. Es passieren einfach viel weniger Unfälle. Problematisch ist es nur, wenn zwei Systeme parallel laufen, also Menschen und Maschinen gleichzeitig auf den Straßen unterwegs sind. Das hat schon vor 100 Jahren mit den Kutschen und den Autos nicht funktioniert. Wir werden uns entscheiden müssen.
e-GoNews: Viele Menschen würden sich vermutlich spontan gegen die Maschinen entscheiden. Es herrscht immer noch großes Misstrauen gegenüber Künstlicher Intelligenz. Warum?
Zimmermann: Zum einen behagen uns Veränderungen grundsätzlich nicht. Zum anderen werden Veränderungen durch Künstliche Intelligenz extrem beschleunigt. Damit kommen wir nicht zurecht. Und dann gibt es noch dieses Narrativ, das immer weiter gefüttert wird: Mensch gegen Maschine. Es geht sehr häufig um den Wettbewerb, aber selten um die Verbindung. Dabei werden uns intelligente Systeme das Leben enorm erleichtern.
Wo Künstliche Intelligenz eine große Hilfe sein kann
e-GoNews: Zum Beispiel?
Zimmermann: Zum Beispiel im Job. Es gibt Arbeiten, die unglaublich zermürbend sind und bei denen wir froh wären, wenn ein Automatismus sie für uns übernehmen würde. Ich denke an Menschen, die sich stundenlang durch Excel-Tabellen lesen müssen, um auf Grundlage dieser Daten eine Entscheidung zu treffen. Eine Künstliche Intelligenz schafft das in Sekunden. Oder in der Medizin. Während Onkologinnen und Onkologen sich Röntgenbilder meist häufig und sehr genau ansehen müssen, erkennt ein trainierter Algorithmus den Krebs viel schneller – und hat in der Regel auch noch die bessere Trefferquote. Diese Vorteile sollten wir nutzen.
e-GoNews: In vielen anderen Bereichen nutzen wir die Vorteile ja bereits.
Zimmermann: Das stimmt. In Wahrheit müssen wir schon danach suchen, wo wir noch ohne intelligente Systeme auskommen. Mir fallen nicht so viele Bereiche ein. Selbst autonomes Fahren ist ja nicht wirklich neu. Dem Autopiloten im Flugzeug vertrauen wir schon seit Jahren. Deshalb denke ich, dass wir unser Leben irgendwann ganz selbstverständlich in die Hände intelligenter Maschinen legen, sogar legen wollen, weil das effizienter und sicherer ist. Meine Tochter ist drei und ich bin sicher, dass sie keinen Führerschein mehr machen wird. Für sie wird autonomes Fahren selbstverständlich sein.
Warum die Skepsis gegenüber KI verschwinden wird
e-GoNews: Wie bereiten wir die heranwachsende Generation auf diese neue Welt vor?
Zimmermann: Damit beschäftigen wir uns bei TRENDONE konkret. Wir untersuchen gerade den Makrotrend 'AI Alphas', der sich mit der Generation derer befasst, die nach 2010 geboren wurden und für die das Internet und Künstliche Intelligenz komplett normal sind. Diese jungen Menschen haben keine Skepsis gegenüber intelligenten Systemen, was für das Image von KI zunächst gut ist. Trotzdem müssen wir ihnen Kompetenzen an die Hand geben, mit diesen Technologien umzugehen. Bis jetzt sprechen wir über das Thema Medienkompetenz. Für diese Generation müssen wir aber weiter gehen und über 'KI-Kompetenz' nachdenken.
e-GoNews: Keine leichte Aufgabe. Wenn etwa ein Algorithmus darauf trainiert ist, allein zu lernen, können wir seine Entscheidungen irgendwann weder nachvollziehen noch beeinflussen.
Zimmermann: Die Algorithmen sind für uns dann tatsächlich eine Blackbox. Damit werden wir umgehen müssen und können es auch schon sehr gut. Schauen Sie sich zum Beispiel das Smartphone an: ein superintelligentes Gerät, wir benutzen es jeden Tag, aber haben Sie eine Ahnung, wie es genau funktioniert? Wir leben bereits mit dieser Komplexität und haben erstaunlich wenige Probleme damit. Und ganz ehrlich: Wenn der Onkologe oder die Onkologin dank einer KI schnell, sicher und zuverlässig einen Krebs diagnostiziert, den er selbst nicht erkannt hätte, dürfte ihm relativ egal sein, wie der Algorithmus auf die Diagnose gekommen ist – Hauptsache, die Dignose stimmt.
e-GoNews: Kann Künstliche Intelligenz auch der Versicherungswelt weiterhelfen?
Zimmermann: Das tut sie bereits, zum Beispiel bei den Angebotsrechnern. Sie geben die Daten ein, der Algorithmus rechnet sie zusammen und heraus kommt eine Police. Auch beim Kalkulieren von Risiken können intelligente Systeme helfen. Wir Menschen bewerten Gefahren oft emotional, der Algorithmus dagegen hat keine Gefühle. Das erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern liefert in der Regel auch noch ein präziseres Ergebnis.
Wo Algorithmen eine Gefahr darstellen – und wie wir sie reduzieren
e-GoNews: Leider gibt es auch Algorithmen, die es nicht so gut mit uns meinen. Donald Trump wäre ohne Künstliche Intelligenz vielleicht nie Präsident geworden.
Zimmermann: Sie spielen auf unseren Zugang zu Informationen an, und Sie haben recht. Algorithmen können Meinungsbildungen beeinflussen. Trump hat seine Fake News über die Sozialen Medien gezielt an Menschen gestreut, die anfällig dafür waren. Eine KI hatte sie anhand ihres Nutzerverhaltens ermittelt. Eine weitere KI erkannte dann die Inhalte, für die sich Nutzerinnen und Nutzer interessierten, und spielte ihnen immer mehr dieser Falschmeldungen in die Kanäle. Das Grundproblem ist: Weil man häufig gar nicht merkt, dass man sich in einer Bubble befindet, ist es schwierig, ihr wieder zu entkommen. Das ist eine Herausforderung, die wir als Gesellschaft meistern müssen.
e-GoNews: Gehen wir noch einen Schritt weiter: Kann KI Persönlichkeiten verändern?
Zimmermann: Eine große Frage – und eine schwierige. Ich würde sagen, ja, ein Stück weit schon. Der Beruf ist zum Beispiel etwas, was die Persönlichkeit beeinflusst. Und wir können jetzt sicher sagen, dass sich Jobbilder durch Künstliche Intelligenz enorm verändern werden, weil wir bestenfalls unliebsame Aufgaben an Maschinen abgeben und uns selbst Arbeiten widmen, die Spaß machen. Insofern beeinflusst KI durchaus das, was wir tun – und dadurch unsere Persönlichkeit. In dem Fall ist das etwas sehr Positives.
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