Wie digital muss Versicherung sein?
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ür Versicherer und ihre Partnervertriebe kommt es zunehmend darauf an, im Online-Bereich die Bedürfnisse ihrer Kundschaft nach individualisierten, zielgruppenspezifischen und personalisierten Angeboten zu erfüllen. Auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich die allermeisten Ergebnisse von Studien und Umfragen zu den Kundenerwartungen in der Assekuranz bringen. Aber was soll das eigentlich konkret bedeuten? Und welche Folgen ergeben sich für den stationären Vertrieb?
Um das herauszufinden, hat zum Beispiel der IT-Dienstleister Adesso 1.000 in Deutschland lebende Personen zwischen 18 und 69 Jahren befragt, die online einkaufen – und auch Führungskräfte und Belegschaften aus insgesamt 373 Unternehmen. Tenor: Die Versicherungswirtschaft steht vergleichsweise gut da, sollte sich aber um verschiedene offene Baustellen kümmern, wenn sie den Draht zu ihrer Kundschaft halten und ausbauen will.
Der Großteil der Online-Kundschaft ist mit der Nutzungserfahrung schon heute zufrieden. Über alle Altersgruppen hinweg gaben 68 Prozent der Befragten an, dass sie mit der Informationssuche und dem Abschluss über das Internet insgesamt zufrieden waren. Besonders bei den jüngsten Befragten zwischen 18 und 29 Jahren herrscht höchste Zufriedenheit (82 Prozent).
Suchmaschinen-Recherche im Aufwind – Chance im Kampf gegen Vergleichsportale
Auch interessant: „Das jüngere Klientel kommen inzwischen viel stärker über die Suchmaschinen als über Vergleichsportale“, sagt Adesso-Vorstand Stefan Riedel. Ein Vorteil für den klassischen Vertrieb – oder zumindest diejenigen, die auch beim eigenen Online-Auftritt ihre Hausaufgaben machen. Die Corona-Pandemie hat der Versicherungsbranche einen Digitalisierungs- und Innovationsschub beschert.
Je jünger die Befragten waren, desto eher haben sie eine Versicherung online abgeschlossen, hat Adesso in der Studie ermittelt. 45 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich am liebsten online über Versicherungen informieren und diese auch online kaufen. „Wenn ich online beginne, will ich auch die Chance haben, online zu beenden“, sagte Riedel. Denkbare Lösungen für Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartner wären hier Antragsstrecken, die direkt auf den Vermittler-Webseiten integriert werden können.
Weiter im Trend: ROPO (Research online – purchase offline)
Neben der Kundschaft, die sich beim Vermittelnden vor Ort beraten lässt und Policen auch dort kauft (26 Prozent), gibt es auch zahlreiche Menschen (27 Prozent), die sich online über eine Versicherung informieren und dann den Abschluss vor Ort abwickeln wollen. Versicherungen und Vermittelnde sollten die sogenannte User Journey daher auf das Szenario ausrichten, dass der Weg oft online beginnt, dann aber offline fortgeführt wird.
Kundinnen und Kunden, die sich zuerst vor Ort in ihrer Umgebung zum Thema Versicherungen informieren und dann online abschließen (2 Prozent), werden dagegen immer seltener – ein Phänomen, das vor allem sonst aus dem Einzelhandel bekannt und gefürchtet ist.
Videoberatung? Gerne – aber nur, wenn nötig
Eine Untersuchung von Pricewaterhousecoopers GmbH (PwC) und den Versicherungsforen Leipzig GmbH kommt zu spannenden Ergebnissen in Sachen Videoberatung. Der Fokus der Untersuchung lag auch hier auf Veränderungen im Versicherungsvertrieb, die sich im Zuge der Corona-Pandemie in der Interaktion mit dem Versicherer ergeben haben. Nur etwa jede 14. Endkundinnen, bzw. Endkunde zählt demnach ein Videotelefonat mit einem Versicherer oder Vermittelnden zu den bevorzugten Kanälen bei Information und Abschluss einer Versicherungspolice.
Ein Grund für diesen erstaunlich niedrigen Wert könnte sein, dass die Kundinnen und Kunden sich eben und vor allem auch wegen der pandemiebedingten Einschränkungen weiterhin nach persönlichem Austausch sehnen. Denn insgesamt landet in Sachen Abschlusskanal der „Versicherungsvermittler des Vertrauens“ weiterhin auf Platz 1 (knapp 40 Prozent).
Dennoch lautet das Fazit der Studie: Digitale Unterschriften, WhatsApp-Chat, Kundenportal und Videotelefonie sind Dinge, die aus Sicht der Kundinnen und Kunden auch nach der Pandemie beibehalten werden sollen. Denn vor allem nach dem Abschluss, also in der laufenden Betreuung oder im Schadenfall, solle die Kommunikation auch nach Corona so digital wie möglich sein.
Für Vermittlerinnen und Vermittler bietet der Kundenwunsch nach mehr digitalen Angeboten mehr Chancen als Risiken: Die Verschiebung des persönlichen Kontakts in digitale Kanäle erleichtert die ortsunabhängige Beratung und laufende Betreuung der Kundinnen und Kunden. Unabhängige Vertriebspartnerinnen und -partner können dadurch effizienter arbeiten, größere Bestände betreuen und zugleich kann so Beratung und Betreuung auch großflächiger gewährleistet werden, wenn durch den demographischen Wandel in den kommenden Jahren viele Vermittlerinnen und Vermittler in den Ruhestand gehen werden.
Eine Studie der Horváth Unternehmensberatung mit mehr als 2.000 Kunden- und Kundinnen-Befragungen hat sich ebenfalls mit den Erwartungen der Kundschaft beim Thema Versicherungen beschäftigt. Ein zentrales Ergebnis der: Sie erwarten digitale Ansprache – und werden vielfach nicht abgeholt. Insbesondere mit Blick auf die zukünftigen Kundinnen und Kunden werden die digitalen Zugangswege immer relevanter.
Doch auch hier zeigt sich ein durchaus ambivalentes Bild: Zwar kann sich bereits ein Drittel der Kundinnen und Kunden einen digitalen Kontaktkanal für die Beratung vorstellen. Der persönliche Kontakt bleibt aber der Dreh- und Angelpunkt in der Kundenbeziehung. Er wird jedoch breiter interpretiert und verlagert sich eben auch in digitale Medien wie beispielsweise die Videoberatung.
Insgesamt geht die Horváth-Studie vor allem der Frage nach, welche Auswirkungen der Einsatz digitaler Features für den klassischen Vermittelnden hat. Kurz zusammengefasst: Wer sich an allen Fronten ansprechbar zeigt, punktet am meisten bei den Befragten. Kundinnen und Kunden, die einen persönlichen Kontakt hatten – unabhängig, ob physisch oder über digitale Wege wie Video-Telefonie – weisen ähnlich wie die bedarfsgerecht beratene Gruppe eine spürbar höhere Weiterempfehlungsbereitschaft auf. Der Anteil der Promotoren erhöht sich konkret um 30 Prozent.
Digitale Angebote wie Apps meist noch unbekannt
Zwar haben die Versicherer in den letzten Jahren hohe Investitionen in die Digitalisierung des Vertriebs geleistet. Jedoch kommen die Ergebnisse dieser Anstrengungen bisher nicht bei allen Kundengruppen an. So geben 43?Prozent der von Horváth befragten Kundinnen und Kunden an, keinen digitalen Zugangsweg ihres Versicherers zu kennen, etwa ein Kundenportal, eine App oder ähnliches.
Dabei liege genau hier großes Potenzial verborgen, um den Kundenkontakt schneller und effizienter zu gestalten, beispielsweise über Self-Services oder die Erfassung strukturierter Informationen als Voraussetzung zur Steigerung der Dunkelverarbeitung, also vollständig automatisiert ablaufender Prozesse in der Vorgangsbearbeitung.
Mehr als die Hälfte der Kundinnen und Kunden ist bereit für digitale Services
Die Bereitschaft zur Nutzung ist jedenfalls immens: 55 Prozent der Kunden wären nach Studienangaben bereit, im Schadenfall ein Kundenportal oder eine App des Versicherers zu verwenden. Und wie sieht es in der Anbahnung aus? In die Zukunft gerichtet, zeigt sich ebenfalls die Wichtigkeit, digitale Kontaktkanäle anzubieten: 43 Prozent der Kundinnen und Kunden zwischen 18 und 29 Jahren können sich einen digitalen Kontaktkanal für die Erstberatung vorstellen, bei den 30- bis 69-Jährigen sind dies nur 36 Prozent.
Klares Fazit der Studie: Für die gezielte Gewinnung junger Kundinnen und Kunden, um Wachstum zu erzielen, und die Bestände zu verjüngen, ist die Ergänzung der Kontaktkanäle um digitale Alternativen unerlässlich.
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