„Der Fachkräftemangel ist unsere Existenzberechtigung“
Lesedauer: 10 Minuten
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GoNews: Herr Tschentscher, Sie sind CEO eines digitalen Personaldienstleisters. Wie sind Sie zu Ihrem Job gekommen? Hat Sie ein Algorithmus ausgespuckt?
Dr. Sebastian Tschentscher (lacht): Nein, das lief tatsächlich ganz klassisch. Ich hatte bisher Strategie und Unternehmensentwicklung gemacht, also konzeptionelle Aufgaben und nach 15 Jahren in der Wirtschaft einfach Lust, dichter dran zu sein am Kunden und an der Leistungserbringung. Über persönlichen Kontakt zu Dr. Ole Mensching, dem Gründer von CareerTeam, bin ich dann an diese Stelle gekommen.
GoNews: Wie arbeitet eigentlich ein digitaler Personaldienstleister?
Tschentscher: Vereinfach gesagt digitalisieren wir Headhunting da, wo wir es für sinnvoll halten. Das betrifft zum Beispiel das Screening, die gezielte Suche nach Bewerbern. Auch sammeln wir Daten wie Absagegründe: Warum ist jemand nicht an der Stelle interessiert? Wer das strukturiert auswertet, kann gute Erkenntnisse gewinnen. Wenn sie etwa für einen Web-Shop in Gütersloh Entwickler suchen und 98 Prozent der Leute wegen der Location absagen, sollten sie über den Standort nachdenken. Und es kommt dazu, dass sich CareerTeam auf digitale Berufe spezialisiert.
Warum technischer Fortschritt keine Arbeitsplätze reduziert
GoNews: Wenn selbst eine Branche wie die Personalwirtschaft digitalisiert werden kann, wie wichtig ist der Mensch dann noch in der Arbeitswelt der Zukunft?
Tschentscher: Sehr wichtig, denn es ist ein Irrglaube, dass technischer Fortschritt viele Arbeitsplätze kostet. Das Gegenteil ist der Fall. Viel mehr gelingt es Firmen, durch Digitalisierung neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und neue Absatzmärkte zu erschließen. Dadurch entstehen viel mehr neue Jobs als alte überflüssig werden.
GoNews: Ein Grund für Fachkräftemangel, der Ihnen gelegen kommen dürfte?
Tschentscher: Da kann ich nicht widersprechen, der Fachkräftemangel ist ganz sicher ein Teil unserer Existenzberechtigung. Und wir sind auch nicht einfach so in den vergangenen neun Jahren von null auf bis zu 200 Mitarbeiter gewachsen. Aber wir tragen durch den Fachkräftemangel auch eine Verantwortung unseren Kunden gegenüber.
GoNews: Inwiefern?
Tschentscher: Kampf um Talente gibt es in fast allen Bereichen – das verändert auch unsere Dienstleistung. Es muss zum Beispiel viel mehr sogenanntes ‚Active Sourcing‘ betrieben werden, also aktives Suchen nach neuen Mitarbeitern. Oft ist es so: Die Personalabteilung schreibt eine Stellenanzeige, lädt sie auf die Homepage und in bekannte Job-Portale und wartet, was passiert. Das heißt, sie geht davon aus, dass Leute aktiv nach dem Job suchen – das machen heute vielleicht noch 15 Prozent. Die anderen 85 Prozent werden die Anzeige also niemals sehen. Darum gehen wir damit aktiv auf Menschen zu. Am Ende sind rund 70 Prozent von ihnen grundsätzlich an einem Jobwechsel interessiert, wenn man sie in geeigneter Form kontaktiert.
Unternehmen wissen häufig nicht, wonach sie suchen
GoNews: Was ist Unternehmen auf der Suche nach Mitarbeitern wichtig?
Tschentscher: Viele machen den Fehler, dass sie genau das nicht richtig wissen. Sie wissen nicht, was die Person, die sie suchen, eigentlich genau machen soll, und suchen dann die eierlegende Wollmilchsau – die sie entweder nicht finden und deshalb enttäuscht sind oder sie, falls sie doch fündig werden, sehr teuer bezahlen. Daher legen wir zu Beginn der Suche fest, was überhaupt gesucht wird. Dazu wird auch der kulturelle Spirit wichtiger, der Bewerber soll zur Firma passen.
GoNews: Wie findet man denn heraus, ob ein Mitarbeiter wirklich passt?
Tschentscher: Man muss verstehen, was der Kunde sucht. Wenn es etwa heißt, der Bewerber soll eine Hands-on-Mentalität haben – was heißt das? Wir nutzen dafür die sogenannte CAR-Methode: Challenge, Action, Result. Welche Herausforderung soll der Mitarbeiter wie meistern, damit das erwünschte Ergebnis erzielt wird? Dann fragen wir genau das auch beim Bewerber ab: Wie würde er diese Aufgabe angehen? Stimmt das überein, wissen wir, okay, in der Hinsicht passt der Bewerber.
Bewerber wollen drei Dinge: Entwicklung, Flexibilität, Eigenständigkeit
GoNews: Und auf der anderen Seite: Was ist Bewerbern wichtig?
Tschentscher: Es sind drei Dinge, die wir beobachten: Sie wollen sich entwickeln, flexibel und eigenständig arbeiten und einen Sinn sehen in dem, was sie tun. Gleichzeitig wundert man sich aber, dass es dann in den Bewerbungsgesprächen die meiste Zeit doch um so profane Dinge geht wie Gehalt oder weitere Benefits.
GoNews: Das ist doch ein Widerspruch?
Tschentscher: Ganz genau, aber der lässt sich tatsächlich sehr leicht erklären: Die Dinge, die Bewerbern zwar wichtig sind, können sie im Vorfeld und von außen gar nicht beurteilen, während konkrete Sachen, wie etwa das Gehalt, wunderbar benannt werden können. Alles andere müssen die Bewerber dann eben selber herausfinden.
Welche Rolle Versicherungen bei der Personalgewinnung spielen
GoNews: Sie sprachen von weiteren Benefits. Könnten das auch Versicherungen sein?
Tschentscher: Absolut. Aber ich glaube, hier ist es gar nicht so wichtig, wie hoch das Benefit ausfällt, sondern hier zählt viel mehr die Botschaft, die damit vermittelt wird. Wir kümmern uns um unsere Mitarbeiter und wollen, dass es ihnen gut geht. Das geht mit Versicherungen wunderbar, vor allem mit betrieblichen Lösungen wie einer Krankenversicherung oder einer Altersvorsorge, von denen beide profitieren – Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das ist mehr wert als Obstschale oder Tischkicker; ganz ehrlich, das hat doch jeder, das kann ich schon nicht mehr hören.
GoNews: Wir haben über Automatisierung gesprochen. Wie könnte Ihnen ein Algorithmus helfen bei der Arbeit?
Tschentscher: In erster Linie natürlich im ersten Teil des Prozesses, von der Suche bis zur Ansprache. Wir suchen beispielsweise schon jetzt mittels Schlagwörtern in unseren Datenbanken. Dann besteht die Gefahr, dass Bewerber mehrfach gefunden werden, weil wir sie bei Xing treffen und in unserer eigenen Datenbank. Dann hilft ein Algorithmus, die Doubletten zu löschen.
GoNews: Sind Sie in Sorge, dass ein Algorithmus Sie überflüssig machen könnte?
Tschentscher: Hier sind wir wieder bei ‚Active Sourcing‘. Solange die passenden Bewerber gefunden werden müssen, weil sie nicht selbst aktiv suchen, sehe ich die Gefahr nicht. Denn bis eine Software in der Lage ist, die Leute, die sie findet, auch bewerten und dann noch anrufen und interviewen kann, bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.
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