Achtung, Ihre Versicherung kann Spuren von KI enthalten
Lesedauer: 10 Minuten
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apoleon hat gegen ihn verloren – und Friedrich der Große auch. Selbst André Philidor, bester Schachspieler seiner Zeit, tat sich gegen den ungewöhnlichen Gegner schwer. So wundert es nicht, dass kaum eine technische Erfindung am Ende des 18. Jahrhunderts für mehr Aufsehen sorgte als der sogenannte Schachtürke. Dem Österreicher Wolfgang von Kempelen schien gelungen zu sein, was niemand für möglich hielt – nämlich eine Maschine zu entwickeln, die dem Menschen auf seinem ureigensten Feld überlegen war: beim Denken. Und natürlich stand von Anfang an die Frage im Raum: Wie schafft es dieser merkwürdige Kasten, reihenweise gegen die ambitioniertesten Schachspieler anzutreten. Und fast immer zu gewinnen? Die Antwort ist einfach – und enttäuschend: Neben Zahnrädern und Gelenkstangen saß ein Schachgroßmeister in der Kiste. Ein klassischer Jahrmarktstrick statt der ersehnten technischen Revolution.
Künstliche Intelligenz als Unterstützung
Wer heute – 250 Jahre später – von den Einsatzbereichen für Künstliche Intelligenz in der Assekuranz liest, kann bisweilen nicht umhin, an Kempelens Erfindung zu denken. Entpuppten sich doch bereits mehr als einmal die vollmundig angepriesenen Errungenschaften eher als Marketing-Gag statt als die versprochene technische Disruption. Beispiel Lemonade: Das US-amerikanische Start-up regelt Schäden angeblich in rund sieben Sekunden und bearbeitet Kundenanfragen über Maya, einen Bot auf Basis von KI. Im vergangenen Sommer musste Lemonade kleinlaut einräumen: Maya klärt lediglich rund 19 Prozent der Anfragen abschließend, alle anderen Vorgänge müssen weiterhin von Menschen bearbeitet werden.
Auf ähnlich gute Werte kommen manche Anbieter von Schaden-Apps, wenn es um die Dunkelverarbeitung von Schadenfotos geht. Letztlich schaut sich auch hier wieder eine Person die Bilder an und bewertet sie – nur dass sie dann eben nicht mehr beim Versicherer angestellt ist, sondern beim jeweiligen Insurtech-Start-up. „Von disruptivem Potenzial zu sprechen, scheint aus heutiger Sicht definitiv übertrieben“, findet deshalb auch Professor Thomas Hartung von der Universität der Bundeswehr in München.
Ist künstliche Intelligenz in der Versicherungsbranche also bisher nicht mehr als digitales Schlangenöl? Mitnichten: „Die Technologie kann enorme Wettbewerbsvorteile mit sich bringen und hat das Potenzial für zahlreiche Innovationen – sowohl in der Kundenbeziehung als auch in der Prozessoptimierung“, erklärt Claudia Brinkmann von der E-Commerce Beratung elaboratum.Im maschinellen Lesen und bei Chatbots liege tatsächlich großes Potenzial. Maschinelles Lesen wird beispielsweise in der Versicherungsbranche eingesetzt, um Kundenbriefe zu bewerten und darin enthaltene Unzufriedenheitsäußerungen zu erkennen und einzuordnen. Chatbots nutzen Unternehmen, um Kundenanfragen zu beantworten oder ihren Kunden einen Rund-um-die-Uhr-Service zu bieten.
Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine
Dass eine Quote von 19 Prozent wie bei Lemonades Maya dabei nicht zufriedenstellend sein kann, ist klar. Doch Anbieter wie das Würzburger Start-up BOTfriends können das inzwischen besser. Außerdem ist nicht jede der nicht final bearbeiteten Kundenanfragen ein Misserfolg. „Die große Kunst liegt im gelungenen Handover – also im nahtlosen Übertrag einer Anfrage vom Bot auf einen menschlichen Bearbeiter“, sagt Kevin Dees von BOTfriends. Sofern der Kunde dem Ansprechpartner am Telefon nicht noch einmal alle Daten durchgeben muss, die er bereits dem Chatbot mitgeteilt hat, hält sich der Ärger in Grenzen – und das Unternehmen spart Zeit, die sonst der Sachbearbeiter hätte aufwenden müssen. „Ein guter Chatbot reagiert außerdem auf die Gefühlslage des Kunden, steuert also nicht nur aus fachlichen Gründen Anfragen an einen menschlichen Bearbeiter aus, sondern auch dann, wenn der Kunde verärgert oder unsicher wirkt“, so Dees.
Künstliche Intelligenz in der praktischen Anwendung
Auch im Schadenmanagement kann intelligente Technologie unterstützen, insbesondere dann, wenn es um die Bewältigung von Standard- oder Routineaufgaben geht. „Verallgemeinernd kann man sagen, dass KI überall dort, wo ein Job repetitiv ist und hohe Erinnerungsfähigkeit erfordert, auf Dauer einen besseren Job machen wird“, sagt Sofie Quidenus-Wahlforss, Gründerin des Start-ups omni:us, das sich ursprünglich auf das Scannen von Büchern mithilfe von Künstlicher Intelligenz spezialisiert hatte.
„Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, ‚smartere‘ Dunkelverarbeitung zu ermöglichen.“ Die schnelle Verarbeitung eingehender Dokumente und Korrespondenzen ist dabei ein wichtiger Hebel. Angebote wie das von omni:us ermöglichen beispielsweise ein effizienteres Arbeiten von Support-Teams, die KI kann spezifische Handlungsempfehlungen in Bezug auf den Inhalt eines Dokuments aussprechen – oder auch Betrugswarnungen abgeben, wenn bestimmte Parameter bei der Fallanalyse anschlagen.
Berücksichtigt man die rasante Entwicklung im Bereich KI, scheint der Schritt zum Robo Advisor nicht mehr groß. Sehr weit in der Entwicklung ist blau direkt. Der digitale Assistent des Lübecker Maklerpools überprüft mit einem Algorithmus die aktuelle Risikosituation des Kunden und gleicht das aktuell gewählte Produkt mit einem möglichen Alternativprodukt mit gleicher Leistung zum günstigeren Preis oder zum gleichen Preis mit einer höheren Leistung ab.
Machen Robo Advisor den Makler überflüssig?
Im Anschluss unterbreitet der Robo Advisor dem Kunden einen Vorschlag, den er über sein Smartphone annehmen kann. Hat der Makler also ausgedient? „Im Gegenteil“, versichert Lars Drückhammer, Geschäftsführer bei blau direkt. „Die Beratung erfolgt im Namen und Anstrich des Versicherungsmaklers, der Kunde erfährt eine optimale Risikobeurteilung – und der Makler muss nicht zum Termin fahren.“ Die technologische Entwicklung nützt also auch den Vermittlern. In Zukunft werden sie digitale Tools und darüber optimierte Versicherungsprodukte einsetzen können – und somit in die Lage versetzt, mit geringerem administrativen Aufwand digital gestützt zu beraten. „Geht ein Makler diesen Weg mit, wird er auch weiterhin am Markt gebraucht – und auch in absehbarer Zeit kein Auslaufmodell werden.“
Und was wurde aus dem Schachtürken? Nach allem, was man weiß, soll er 1854 einem Brand im Peale’s Museum von Philadelphia zum Opfer gefallen sein. Eine echte Künstliche Intelligenz hätte das bestimmt kommen sehen.
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