„Müll ist ein Konzept, das wirklich dumm ist“
Lesedauer: 7 Minuten
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GoNews: Frau Griefahn, wir wollen über Nachhaltigkeit sprechen. Wer wissen will, was das ist, findet unzählige Erklärungen. Fangen wir also ganz einfach an: Was bedeutet für Sie Nachhaltigkeit?
Dr. Monika Griefahn: Nachhaltigkeit im klassischen Sinne bedeutet, Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang zu bringen. Also umweltbewusst zu handeln, etwas für die Gesellschaft zu tun und dabei trotzdem auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Aber ich mag diesen Begriff überhaupt nicht.
GoNews: Wieso das?
Griefahn: Weil er für mich dafür steht, das Bestehende bestehen zu lassen – das ist innovationsfeindlich. Wir aber leben von Innovationen, definieren uns als Nützlinge, wollen gestalten und kreativ sein. Wir wollen einen positiven Fußabdruck hinterlassen – nicht einen weniger schlechten. Wenn wir nur nachhaltig denken, bringt uns das nicht voran.
Innovation als zeitloses Erfolgsrezept
GoNews: Das heißt: Wer nachhaltig erfolgreich sein will, muss innovativ sein?
Griefahn: Die innovativsten Unternehmen sind die erfolgreichsten. Nehmen Sie das Beispiel Schlecker. Die haben jahrelang dieselben Produkte verkauft, das war irgendwann überhaupt nicht mehr innovativ – und man sieht, was herausgekommen ist. Der Konkurrent dm dagegen hat sich entwickelt, hat früh auf Bio-Produkte und Reformkost gesetzt, ist besser mit den Mitarbeitern umgegangen, hat ausgebildet – und ist damit auch heute noch erfolgreich.
GoNews: Also kommen Unternehmen um Nachhaltigkeit nicht mehr herum?
Griefahn: So ist es. Auf der einen Seite sind es Innovationen, auf der anderen auch die Menschen, die eine Rolle spielen. Geldgeber, Mitarbeiter und Kunden wollen, dass Unternehmen auf Nachhaltigkeit setzen. 70 Prozent der Berufsanfänger legen bei ihrem Arbeitgeber wert darauf. Wer das Thema vernachlässigt, setzt die Zukunft aufs Spiel.
Es gibt nicht zu viele Menschen, nur zu viel Müll
GoNews: Um sein Geschäft nachhaltig zu gestalten, braucht es sicherlich eine Strategie. Wie sieht diese aus?
Griefahn: Im Mittelpunkt steht die Frage: Was nützt dem Menschen, der Erde und der Gesellschaft – nicht nur einem davon. Recyclingpapier etwa ist umweltfreundlich, sah aber am Anfang nicht gut aus und man konnte es nicht richtig bedrucken. Also wurde es entwickelt. Wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen: Die Farben, die auf das Papier gedruckt werden, müssen ökologisch abbaubar sein. Dann wird das Papier Kompost – und wieder zu Erde.
GoNews: Womit wir beim Prinzip der Wiederverwertung wären – Cradle to Cradle. Was hat es damit auf sich?
Griefahn: Cradle to Cradle heißt, dass Design und Materialien von Produkten so konzipiert und gewählt werden, dass sie später wieder zu Nährstoffen werden – entweder für die Biosphäre, also dass man sie kompostieren oder verbrennen kann, oder für die Technosphäre, sprich, dass sie als Materialien wieder zum Einsatz kommen. Es gibt also keinen Müll mehr. Müll ist ein Konzept, was wirklich dumm ist, die Natur kennt keinen Müll. Es heißt immer, es gibt zu viele Menschen – völliger Blödsinn. Ameisen sind von der Biomasse viermal so viele, aber produzieren keinen Müll, weil alles, was sie verbrauchen, zu Erde wird. Wir dagegen haben zum Beispiel einen Verschleiß an Handys. Ein Produkt, aus dem nur neun von mehr als 40 Komponenten wiederverwertet werden. Das ist doch Irrsinn.
Neue Geschäftsmodelle als Schritt zur Besserung
GoNews: Wie können Unternehmen dieses Modell übernehmen?
Griefahn: Sie müssen ihr Geschäftsmodell hinterfragen. Der Waschmaschinenhersteller verkauft Waschmaschinen, die genutzt und am Ende entsorgt werden. Wie wäre es, wenn er stattdessen 3.000 Waschgänge verkauft? Er liefert das Gerät, der Kunde nutzt es und dann wird es entweder aufgerüstet – schließlich entwickelt sich Technik weiter – oder auseinandergebaut und die Teile wiederverwertet. Dafür muss die Waschmaschine aber von vornherein so geplant und gebaut werden. Dieses Modell ist übrigens auch interessant für Versicherungen.
GoNews: Inwiefern?
Griefahn: Wer so ein Modell einführen will, braucht Partner – und eine Versicherung wäre ein idealer Partner. Beim Beispiel der Waschmaschine könnte sie mit dem Hersteller ein Produkt anbieten, das dem Kunden 3.000 Waschgänge garantiert. Darüber hinaus könnte sie etwa das in der Maschine verbaute Kupfer als Anlage halten, es dem Hersteller gegen eine Gebühr ausleihen, und hätte es hinterher sogar wieder zur Verfügung.
GoNews: Ihre Firma berät Unternehmen bei Nachhaltigkeit. Wie gehen Sie vor?
Griefahn: Nachhaltigkeit ist Chefsache und der Chef Vorbild für die Mitarbeiter. Also ist es das wichtigste, dass die Firma vom Kopf Interesse am Thema hat. Dann müssen wir ans Geschäftsmodell ran. Bei Aida waren das zum Beispiel die Schiffe: Was können wir daran besser machen? Es bringt nichts, das ganze Jahr über sein Geschäft zu machen und im Dezember einen Wohltätigkeitsbasar zu veranstalten. Das wäre Green-Washing.
GoNews: Gutes Stichwort. Woran erkennt man Unternehmen, die es wirklich ernst meinen mit der Nachhaltigkeit?
Griefahn: Wenn ein Unternehmen etwa mit einem Nachhaltigkeitsbericht glänzt, ist das nichts Besonderes; dafür gibt es eine regelrechte Industrie. Wer aber sein Kerngeschäft, sein Produkt, ändert oder seine Infrastruktur umbaut, in dem er etwa auf Ökostrom setzt oder auf Plastik verzichtet, der meint es sicher ernst.
Andere Länder als Vorbild potenzielle Möglichkeiten
GoNews: Wo stehen wir in Deutschland?
Griefahn: Wir tun oft so, als wären wir Vorreiter, dabei haben wir viele Innovationen verpasst. Das sieht man bei E-Mobilität oder am Beispiel Cradle to Cradle. Im niederländischen Venlo wurde ein Rathaus nach diesem Prinzip gebaut; nach 20 Jahren ist es – den Wiederverkauf der Materialien eingerechnet – 15 Prozent günstiger als ein üblicher Bau. Oder nehmen Sie Plastiktüten, die sind mittlerweile selbst in Ruanda verboten, während das hierzulande immer noch diskutiert wird. In Italien müssen sie immerhin schon biologisch abbaubar sein.
GoNews: Das dürfte ein Vorwurf an die Politik sein, die Sie als Mitglied des Bundestages lange Zeit mitgestaltet haben. Warum haben Sie die Seiten hin zur Wirtschaft gewechselt?
Griefahn: Ich würde nicht sagen, dass ich die Seiten gewechselt habe. Ich habe immer an Lösungen gearbeitet. Wir haben mit Greenpeace damals den Spiegel dazu bewegt, chlorfreies Papier zu nutzen. Wir haben das Montreal-Abkommen mit auf den Weg gebracht, das FCKW in Kühlschränken verhindert hat. Das waren Lösungen, weil wir gezeigt haben: es geht auch anders. Genau so habe ich im Bundestag an Lösungen gearbeitet: Wir bauen in Ägypten, wo an 220 Tagen im Jahr die Sonne scheint, ein Goethe-Institut und setzen keine Solaranlage aufs Dach – das wäre doch absurd. Also haben wir das empfohlen. Und so habe ich nach der Politik geschaut, wo ich weiter nach Lösungen suchen kann. Und das mache ich heute noch.
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