„Eigentlich ist KI strunzdumm – und Empathie kann sie schon mal gar nicht“
Lesedauer: 10 Minuten
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GoNews: Herr Micko, wir erreichen Sie heute per Videoschalte in Ihrem Homeoffice in Wien. Eine Folge der Corona-Krise?
Martin Micko: Nein, für uns ist das längst Standard. Aber Sie haben natürlich recht: Corona sorgt dafür, dass ich nun deutlich häufiger mit Mitarbeitern von Versicherungsunternehmen per Skype kommuniziere. Vor ein paar Wochen schien das noch undenkbar.
Homeoffice als neue Art des Arbeitens
GoNews: Was glauben Sie, woran das liegt?
Micko: Viele Firmen merken erst jetzt, welche Möglichkeiten sie bisher liegenlassen haben. Gerade im deutschsprachigen Raum sind die Homeoffice-Regeln viel häufiger von Juristen ausformuliert worden als sonst auf dem Planeten. Jetzt setzen sich manche über diese Regeln hinweg und merken: „Oh, das geht auch – Homeoffice ist gar nicht in erster Linie ein juristisches Problem. Ich kann als Arbeitgeber meine Mitarbeiter dazu befähigen, nach weniger starren Regeln zu arbeiten und es funktioniert trotzdem.“ Oder sogar noch besser. Das schafft eine völlig neue Vertrauensbasis und ein Commitment zwischen Unternehmen und Angestelltem.
GoNews: Und in ein paar Wochen oder Monaten ist wieder alles vorbei?
Micko: Nein, das bleibt. Man kann unmöglich nach Corona in den Vorher-Modus zurückschalten. So ist das ja eigentlich immer, wenn man einen lange nicht mehr überprüften Prozess doch plötzlich auf den Prüfstand stellen muss und dann merkt, dass es eigentlich viel einfacher, schneller und günstiger gehen kann.
GoNews: Gelungener Themenwechsel. Wie kann der Einzug von Künstlicher Intelligenz Prozesse im Versicherungswesen verändern?
Micko: Künstliche Intelligenz ist beispielsweise in der Lage, Gescanntes auch kognitiv zu verstehen. Am besten stellen Sie sich den Unterschied so vor: Normale OCR-Texterkennung funktioniert – wenn überhaupt – so wie das Lesen bei einem Kind, das zwar grundsätzlich lesen kann, den Inhalt des Gelesenen aber nicht versteht. KI erkennt aber, ob es sich beim Begriff „Bäcker“ um den Beruf oder vielleicht einen Namen – oder den Teil einer Straßenbezeichnung – handelt. Wenn man das einen Schritt weiterdenkt, geht es um die kognitive Applikation dieses Wissens. Der Kunde erwartet heute – sagen wir, bei einer Schadenmeldung – eine Kundenerfahrung wie bei Amazon. Wir nennen das die Amazonisierung des Schadenprozesses.
Ist der Chatbot die richtige Alternative?
GoNews: Amazonisierung hört man häufig. Manche Versicherer probieren Services wie Chatbots aus, die den Kundenkontakt revolutionieren sollen. Aber mal ganz ehrlich: Bei Amazon hat noch nie jemand mit einem Chatbot sprechen oder schreiben müssen – da sitzt am anderen Ende der Leitung immer ein echter Mensch, der das Problem löst. Warum meint ausgerechnet die Assekuranz, hier technisch auftrumpfen zu müssen? Es gibt nur ganz wenige Kundenkontaktpunkte – und die will man dann durch einen Chatbot veredeln?
Micko: Ich habe mich das auch schon gefragt. Vielleicht sind das Services, die man einfach mal medienwirksam ausprobieren kann. Ob das vom Kunden gut angenommen wird und seine Experience extrem verbessert, weiß ich nicht. Letztlich reicht ein Chatbot nicht, wenn die dahinterliegenden Prozesse nicht automatisiert werden. Ich stimme zu: Ein Chatbot schlägt natürlich eine Tür zu, durch die man auch ein qualifiziertes Beratungsgespräch hätte führen können. Da setzen wir dann an, indem wir den Vermittler, den Schadenbearbeiter oder kurz: den persönlichen Ansprechpartner des Kunden in die Lage versetzen, ein kundenorientiertes Gespräch zu führen. Wir automatisieren die 0815-Tätigkeiten im Hintergrund und ermöglichen mehr Zeit und Empathie für den Kunden.
GoNews: Je mehr Sie von diesen 0815-Tätigkeiten wegautomatisieren, desto weniger Arbeit bleibt übrig. Schafft der technologische Fortschritt letztlich die Arbeit ab?
Micko: Das Problem gibt es im Grunde seit der Erfindung des Rades, die vergangenen Jahrhunderte haben aber eigentlich immer gezeigt, dass jeder größere Schritt Richtung Industrialisierung oder Automatisation unterm Strich – und zugegeben: verbunden mit Umbruchzeiten – letztlich mehr Jobs geschaffen als vernichtet hat.
Die Nachteile von KI
GoNews: Der Unterschied ist aber: Wenn man früher seinen Job nicht mehr machen konnte, weil eine Maschine mehr Kraft und Ausdauer hat, konnte man auf eine geistige Tätigkeit umsatteln. Wenn die Maschine uns heute auch auf diesem Terrain schlägt, hat man aber vielleicht irgendwann nichts mehr anzubieten. Nicht aus jedem Lageristen kann ein Logistikberater werden, oder?
Micko: Natürlich müssen sich Arbeitnehmer heute häufiger und schneller hinterfragen und gemeinsam mit dem Arbeitgeber Antworten finden: Was ist die Zukunft meiner aktuellen Tätigkeit und in welche Richtung kann und muss ich mich entwickeln? Vielfach wird aber auch einfach überschätzt, was KI in absehbarer Zukunft zu leisten imstande sein wird. Wer sich ein bisschen damit auskennt, wie schwierig es ist, KI oder neuronalen Netzen das anzutrainieren, was sie für einzelne, spezielle und dann repetitive Aufgaben können müssen, sieht das vielleicht etwas nüchterner. Der Vorteil unserer KI ist ja nicht, dass sie viel schlauer ist als der Mensch, sondern dass sie repetitive Tätigkeiten schneller, länger und auf dem immer gleich hohen Niveau erledigen kann. Und dass sie sich besser erinnern kann. Oder wie meine Mitgründerin jetzt sagen würde: Eigentlich ist KI strunzdumm – und Empathie kann sie schon mal gar nicht.
GoNews: Gerade im stationären Vertrieb ist Empathie besonders wichtig. Policen werden nun einmal ver- und nicht gekauft.
Micko: Stimmt. Empathie ist in der Versicherungsbranche noch wichtiger als anderswo. Außerdem geht es mehr als in anderen Branchen um Vertrauen – auch in persönliche Beziehungen. Denn letztlich verkaufen wir ja etwas, an das die Menschen glauben müssen.
GoNews: Versicherungsschutz ist ein abstraktes Gut, das man sich nicht ins Regal stellen und anschauen kann. Eigentlich beste Voraussetzungen für Digitalisierung, oder?
Micko: Ich mag den Vergleich mit der Musikindustrie. Deren Geschäftsmodell war nie der Verkauf von Schallplatten und CDs – sondern eben von: Musik. Die Kanäle, über die das Produkt zum Kunden gelangt, haben sich zwar genauso geändert wie die Darreichungsform, aber der Bedarf und das Interesse an Musik ist ungebrochen. Mit Versicherungsschutz ist es genau das Gleiche: Das Produkt, der Service, den unsere Branche anbietet, hat auch weiterhin seine Daseinsberechtigung. Die Menschen benötigen immer noch Versicherungsschutz, auch wenn man Versicherungsschutz noch nie anfassen konnte. Deshalb ist er aber auch heute viel weniger davon bedroht, durch Digitalisierung ersetzbar zu werden.
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