Revolution auf vier Rädern
Lesedauer: 9 Minuten
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er Höhepunkt der Silvesterfeier war schon wenige Stunden vor dem Jahreswechsel erreicht. Am 31. Dezember 1879 startete Carl Benz den ersten Benzinmotor – und er lief. Sieben Jahre später meldete Benz das erste Auto zum Patent an. Fast anderthalb Jahrhunderte lang haben Autobauer auf der ganzen Welt Benz’ Idee perfektioniert. „Es war immer die entscheidende Frage: Wie kriege ich das Auto von A nach B“, sagt Firas Larbi, Principal Consultant und Autoexperte bei Capco, einem weltweiten Management- und Technologieberater für Finanzdienstleister.
Diese Zeiten sind vorbei. „Der Antrieb ist nicht mehr die komplizierteste Funktion. Jetzt geht es um die Funktionen drum herum. Und da stehen neue Technologien im Fokus – E-Mobilität, autonomes Fahren, das Connected Car“, sagt Larbi.
Wie junge Tech-Unternehmen BMW, Audi und VW angreifen
Die Technologie im Auto gewinnt an Bedeutung – und das öffnet ganz neuen Playern die Tür in den Automarkt. Junge, technologie-orientierte Start-ups. Finanzstark und mit innovativen Ideen. Tesla war ihr Pionier. Aber Tesla war nur der Anfang. Mit Mobileye, Faraday Future, Nio oder Sono Motors mischen immer mehr Tech-Unternehmen die Branche auf und werden zur Bedrohung für Platzhirsche. Was machen sie anders – und wie verändern sie den Markt?
Tesla war erst der Anfang – jetzt kommen die Revolutionäre
Junge Tech-Unternehmen haben einen großen Vorteil, sagt Capco-Experte Larbi: „Sie sehen den Markt von außen. Sie scheuen deshalb keine Disruption – und agieren vorrausschauend.“ Und sie profitieren von drei Trends. Erstens: Es gibt um sie herum einen regelrechten Hype an den Finanzmärkten. Das chinesische Elektroauto-Start-up Nio, gerade sieben Jahre alt, wird an der New Yorker Börse mit 63 Milliarden Dollar bewertet – fast so hoch wie BMW. Pionier Tesla ist mit Blick auf den Aktienkurs wertvoller als fast alle traditionellen Hersteller zusammen.
Zweitens sind sie Nutznießer vom Elektro-Boom. Während der Autoabsatz 2020 weltweit um 14 Prozent einbrach, stieg der Verkauf von E-Autos und Plug-in-Hybriden um 39 Prozent auf 3,1 Millionen. 2030 werden laut Prognosen 46 Millionen Fahrzeuge verkauft; ein Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Diesen Wandel, drittens, gestalten die Tech-Start-ups aktiv mit. „Für sie ist das E-Auto nicht nur ein Fahrzeug, sondern das autonome Auto von morgen. Deshalb denken sie nötige Tools schon heute mit, entwickeln sie und bauen sie ein“, erklärt Larbi.
Mobileye – mobile Taxis in Jerusalem
Bestes Beispiel dafür ist Mobileye. „Als ich vor 15 Jahren meine Diplomarbeit geschrieben habe, war das ein gewöhnlicher Zulieferer für die Automobilindustrie, zuständig für eine von vielen Funktionen“, sagt der Autoexperte. Mobileye hat kamerabasierte Assistenzsysteme entwickelt, die etwa beim Wechseln der Fahrspur helfen oder Verkehrszeichen erkennen. Vor vier Jahren hat der Tech-Riese Intel das Unternehmen für 15,3 Milliarden US-Dollar übernommen.
Heute ist Mobileye führend in der Entwicklung autonomer E-Autos – und bringt sie auch auf die Straße. Im vergangenen Sommer war München Testgebiet für selbstfahrende Autos. In Zukunft soll in Jerusalem ein autonomer Taxi-Dienst an den Start gehen. Wann das Robo-Taxi auch nach Deutschland kommt, hängt von Gesetzen ab. „Wenn alle Voraussetzungen passen, würden wir gern sobald wie möglich starten“, sagt Mobileye-Manager Johann Jungwirth.
Die Innovationskraft ist enorm, das Tempo hoch. Manch ein klassischer Hersteller hat damit Probleme. Carsten Breitfeld, früher Chefentwickler des Hybridautos i8 bei BMW, hat deshalb die Seiten gewechselt. Er ist nun Chef von Faraday Future, einem E-Auto-Entwickler aus dem Silicon Valley. Der Start war holprig. Das junge Unternehmen, 2014 gegründet, hatte sich mit dem milliardenschweren Bau eines Werks in der Wüste Nevadas übernommen. Darüber hinaus belasteten Schulden des Gründers Jia Yuetin die Kreditwürdigkeit.
Also setzte Breitfeld zum Kahlschlag an. Abgesehen von einem kleinen Werk in Kalifornien sollen die Autos künftig von externen Produzenten gefertigt werden. Gründer Yuetin hat seine Anteile abgegeben und Privatinsolvenz angemeldet. Jetzt steht der Börsengang an. In vier Jahren will das Unternehmen seine Bewertung von aktuell rund drei Milliarden Dollar verfünffachen. Rund eine Milliarde Dollar hat Faraday Future durch die Zusagen von Partnern bereits sicher – und will sie in ihr erstes Modell investieren: Die Luxuslimousine FF91, immerhin schon 2017 vorgestellt, die endlich für Umsatz sorgen soll.
Um Geld muss sich Nio keine Sorgen machen. Als der chinesische E-Auto-Hersteller vor nur zwei Jahren fast pleite war, half der Staat mit einer kräftigen Finanzspritze. Seitdem profitiert das Unternehmen von Milliardensubventionen, mit denen Peking die E-Mobilität anschiebt.
Anfang 2021 ist das 100.000. Fahrzeug vom Band gerollt, nach drei Jahren. Zum Vergleich: Tesla benötigte für diesen Meilenstein mehr als doppelt so lange. Als Besonderheit sieht Gründer William Li ein Batteriewechselnetzwerk, mit dem er auch in Europa punkten will. Ab dem nächsten Jahr sollen Nios SUVs und Limousinen in Deutschland verkauft werden.
Sion – das fahrende Solarkraftwerk
Im Mutterland des Verbrennungsmotors mischt ein Start-up ebenfalls mit auf der Weltbühne der Tech-Autobauer: Sono Motors. Die Münchner revolutionieren mit ihrem Sion, einer Mischung aus Solar- und E-Auto nicht nur das Auto an sich, sondern auch das Autofahren. Die Karosserie des Fahrzeugs besteht zu einem großen Teil aus insgesamt 248 Solarmodulen. Wenn die Sonne scheint, versorgen sie das Auto mit Energie. Das erhöht die Reichweite pro Tag um bis zu 35 und im Schnitt um 16 Kilometer – immerhin fast 6.000 Kilometer im Jahr. Außerdem funktioniert der Ladekreislauf bidirektional, das heißt, Fahrerinnen und Fahrer können auch andere Geräte mit Strom versorgen – oder die Elektrizität sogar verkaufen.
Sono Motors setzt dafür auf Kooperationen. Der Elektromotor stammt von Continental. Statt in einer eigenen Fabrik wird der Sion im ehemaligen Saab-Werk in Trollhättan gebaut. Bisher gibt es nur einen Prototyp, aber bald sollen bis zu 43.000 Autos im Jahr vom Band laufen. Diese Autos werden über eine App aufgesperrt, ohne Schlüssel. Zudem können Besitzerinnen und Besitzer das Auto mit der App verleihen. Den Preis bestimmen sie selbst. Sono Motors stellt über einen Partner die Versicherung und verdient an den Leihgebühren mit. So wird das Auto vom Fortbewegungsmittel zum Geschäftsmodell.
Carl Benz wird das alles natürlich nicht mehr erleben. Der Erfinder des Autos starb 1929. Und auch sein Benzinmotor hat keine Zukunft mehr: Ab 2035, so hat es die EU-Kommission erst vor kurzem vorgeschlagen, sollen keine Autos mit Verbrenner mehr verkauft werden. Die Alternativen sind da, die Revolution auf vier Rädern geht weiter – auch nach 150 Jahren.
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