KI im Einsatz: Roboter als Recruiter
Lesedauer: 8 Minuten
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ie helfende Hand ist unsichtbar, aber dafür extrem effektiv. Wenn Pia Thomsen eine neue Personalanfrage hereinbekommt, überträgt sie die Daten in den Computer – und startet den Algorithmus. Innerhalb weniger Sekunden hat sie erste Ergebnisse. Thomsen arbeitet für das CareerTeam, einem Headhunter mit Büros in halb Europa, der sich auf die Digitalbranche spezialisiert hat. Passend dazu ist auch das Recruiting, also die Suche nach Fachkräften, weitgehend automatisiert. „Wir haben den Suchprozess in 70 einzelne Schritte unterteilt, die in einem System abgebildet werden“, erklärt Thomsen. Zwar müssen einzelne Parameter per Hand eingetippt werden, „aber die Suche läuft automatisch“, sagt die Recruiterin. Das geht schneller, genauer und effizienter als wenn der Mensch diesen Job erledigt.
Auch deshalb ist die Automatisierung im Personalwesen auf dem Vormarsch, allen voran die Künstliche Intelligenz. Laut einer Umfrage des Online-Jobportals Monster setzt bereits jedes zwanzigste Unternehmen bei der Suche nach neuem Personal auf digitale Hilfsmittel. Bei IT-Unternehmen ist es sogar jedes fünfte. Dass sich dieser Trend verstärkt, zeigt die steigende Aufgeschlossenheit gegenüber intelligenten Systemen: Laut Monster-Umfrage sind mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen offen eingestellt für KI-Anwendungen im Recruiting.
So hilft Künstliche Intelligenz bei der Suche nach Fachkräften
Aber wo kommen diese Tools zum Einsatz? Das weiß Sarah Landau. Sie leitet das Recruiting beim Mineralöl-Händler Marquard & Bahls und ist Bereichsleiterin Nord beim Bundesverband Personal Manager, der mit fast 5.000 Mitgliedern größten Vereinigung für Personalwesen in Deutschland. Sie setzt beim sogenannten Active Sourcing auf digitale Hilfe. „Active Sourcing bedeutet, dass Talente aktiv gesucht werden“, erklärt Landau. Das Phänomen ist eine Folge des Fachkräftemangels, durch den Bewerbungen nicht mehr wie von selbst bei den Firmen eintrudeln, sondern Unternehmen vermehrt offensiv nach Talenten suchen müssen.
Künstliche Intelligenz hilft Landau etwa dabei, Stellenanzeigen passgenau zu platzieren. Sie kann die Online-Anzeigen mit Parametern versehen, sodass sie in Portalen und Netzwerken auch tatsächlich nur bei den Menschen ausgespielt werden, die für die Stelle geeignet sind. „Das macht das Recruiting präziser“, sagt sie. Auf der anderen Seite kann sie aber auch Suchanfragen mit Voraussetzungen und Parametern füttern, um einfacher passende Nutzerinnen und Nutzer zu finden. Dieses „Matching“ wird ebenfalls durch eine Künstliche Intelligenz unterstützt. Hier wie da gilt: Je genauer die Angaben, desto besser ist das Ergebnis.
Damit bieten intelligente Systeme mehrere Vorteile. Während Personal-Angestellte per Hand stundenlang Job-Börsen durchsuchen, erledigt ein Algorithmus die Arbeit in wenigen Sekunden. Gleiches gilt für die Auswahl: Während sich Angestellte mühsam durch die Stapel an Bewerbungsmappen arbeiten, in der Hoffnung, die Bewerber zu finden, die am besten zur Stellenbeschreibung passen, schafft das der Algorithmus in Windeseile – und erzielt häufig sogar ein präziseres Ergebnis, weil bei ihm nicht die Konzentration nachlässt oder er entscheidende Aspekte übersieht. Beides bringt enorme Zeitersparnis mit sich. Zeit, die Landau für persönliche Gespräche nutzen kann. „Denn die bleiben unersetzlich“, sagt sie.
Wie gut passen Mensch und Job zusammen? Kollege KI kennt die Antwort
Softwareentwickler sehen auch das bereits anders. Google beispielsweise arbeitet an einer sogenannten Job KI, mit deren Hilfe Siemens in Deutschland in einem Test 11.000 interne Stellen vergeben hat. IBM bietet Kunden sogar das Komplettpaket: KI-Unterstützung, von der Ausschreibung bis zum Stellenantritt. Die Tech-Riesen glauben, dass die Auswahl der Roboter-Recruiter präziser ist, weil sie auf Daten basiert und nicht auf dem Bauchgefühl der Menschen.
Roboter als Recruiter – kann das funktionieren? Zumindest gibt es Hinweise darauf. Etwa aus den USA. Dort haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 90.000 Auswahlprozesse untersucht, bei denen Bewerbende kein Vorstellungsgespräch führen, sondern lediglich einen Einstellungstest abgeben mussten. Den Test hat ein Algorithmus ausgewertet und sortiert. Ergebnis: Die von der Künstlichen Intelligenz ausgewählten Menschen blieben länger im Unternehmen als diejenigen, die auf die klassische Art und Weise eingestellt wurden.
Passende Auswahl dank Video-Analyse
Andere KI-Lösungen gehen noch einen Schritt weiter. Zum Beispiel die des Münchner Start-ups Retorio. Statt aus der Auswertung eines Testes gibt die Künstliche Intelligenz in diesem Fall ihre Empfehlung auf der Grundlage von Videoaufnahmen ab. „Eine Minute Video zeigt eine lebenslange Möglichkeit“, wirbt das Unternehmen. Die Idee: Anhand eines Videos kann die Retorio-KI eine sogenannte vorausschauende Analyse erstellen: Ist der Mensch geeignet oder nicht? Dafür wurde die Software mit Hilfe der Daten von 12.000 Menschen aufgebaut und vergibt Punkte in Kategorien wie Offenheit oder Gewissenhaftigkeit. Der Vorteil liegt auf der Hand: Weil der Roboter nach Daten und nicht aus der Emotion heraus entscheidet, spielt die Intuition des Personal-Angestellten keine Rolle mehr.
Aber sind diese Ergebnisse des Roboters wirklich aussagekräftig – und besser als die eines Menschen? Tatsächlich hat der Algorithmus zwei Probleme: Er wird von Menschen programmiert. Und er wird mit Daten trainiert, die aus menschlichen Entscheidungen hervorgegangen sind. Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel des US-Riesen Amazon. Dessen Recruiting-KI hat 2016 zwar eine Menge Bewerber vorgeschlagen – aber nur sehr wenige Bewerberinnen. Bei der Analyse kam heraus, dass Bewerberinnen bisher unter anderem allein wegen ihrer Eigenschaft als Frau bei Amazon schlechtere Aussichten hatten.
Wie viel KI ist sinnvoll?
Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie viel Künstliche Intelligenz im Bewerbungsprozess macht überhaupt Sinn? „Den gesamten Prozess zu automatisieren, ist sicher nicht sinnvoll“, sagt Sebastian Tschentscher. „Aber es gibt jede Menge Bereiche, in denen Algorithmen das Leben erleichtern. Wir sagen daher ‚teilautomatisiert’ zu unserem Prozess.“ Tschentscher ist Geschäftsführer des Digital-Headhunters CareerTeam. Er beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie man Automatisierung im Recruiting einsetzen und verbessern kann. Neben dem Zeitvorteil sieht er vor allem im gesammelten Datenschatz einen großen Nutzen. „Das hilft mir enorm, meine Suchen zu optimieren“, sagt Tschentscher.
Deshalb sammelt CareerTeam nicht nur Kontaktdaten, sondern auch Absagegründe. „Wenn mir für meine Software-Firma in Gütersloh reihenweise Personal absagt, weil es nicht an den Standort kommen möchte, sollte ich überlegen, ob ich es nicht von zu Hause arbeiten lassen kann“, sagt Tschentscher. Weiterer Vorteil einer großen Datenbank: Nur, weil ein Mensch den einen Job absagt, heißt das nicht, dass für ihn ein anderer vielleicht doch in Frage kommt. „Wenn ich ihn in der Datenbank habe, muss ich ihn beim nächsten Mal nicht erst wieder aufwendig rekrutieren“, sagt der Experte. Und wieder wurde Zeit gespart.
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